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30. Juni oder Mitte 2020? London und EU uneins über Aufschub

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Eine Woche vor dem geplanten Brexit-Tag wird klar: Es braucht wohl noch einmal mehr Zeit. Wieviel genau, ist umstritten. Zudem herrscht auf dem Kontinent Skepsis, ob ein erneuter Aufschub das Gezerre in London nicht einfach nur verlängert. Auch Berlin ist besorgt.

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London/Brüssel (dpa) – Die Europäische Union und Großbritannien erwägen eine weitere Verschiebung des Brexits, um einen chaotischen Bruch in einer Woche zu vermeiden.

Die britische Premierministerin
Theresa May bat in einem Schreiben an EU-Ratschef Donald Tusk am Freitag um einen Aufschub bis zum 30. Juni. Tusk plädiert dagegen für eine flexible Verlängerung der Austrittsfrist um bis zu zwölf Monate. Die Entscheidung dürfte am Mittwoch bei einem EU-Sondergipfel fallen.

Eine hohe Hürde für die
Verschiebung ist die Wahl zum Europäischen Parlament vom 23. bis 26. Mai. Wäre Großbritannien dann noch EU-Mitglied, müsste es Abgeordnete wählen lassen. Der bislang vorgesehene Brexit-Termin 12. April – das ist Freitag in einer Woche – ist der letzte Tag, an dem London die Wahl im Land einberufen könnte.

Aus dem EU-Parlament und einzelnen Mitgliedstaaten kamen skeptische Töne. Mit einem Blankoscheck kann London ohne konkreten Plan eher nicht rechnen. Ausschlaggebend könnte sein, ob es May gelingt, die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs davon zu überzeugen, dass eine Verlängerung auch tatsächlich hilft, einen geordneten EU-Austritt ihres Landes zu erreichen. Das bisherige Gezerre zu verlängern, dürfte kaum im Interesse der bleibenden 27 EU-Staaten sein.

Großbritannien und die EU stecken
tief in der Brexit-Krise, weil das britische Unterhaus den von May mit Brüssel ausgehandelten Austrittsvertrag bislang nicht angenommen hat. Ohne weitere Verlängerung droht ein Austritt ohne Abkommen mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche.

Nach dreimaligem Scheitern im Parlament hat May erst diese Woche Verhandlungen mit Oppositionschef Jeremy Corbyn über einen überparteilichen Konsens aufgenommen. Doch die schienen am Freitag ins Stocken geraten zu sein. Brexit-Experte Keir Starmer von Labour klagte, die Regierung zeige keinerlei Kompromissbereitschaft.

Es gebe «noch viele Fragen», die in London zu klären seien, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im westfranzösischen Dinard. «Es ist uns außerordentlich wichtig, dass die Europawahlen ordnungsgemäß über die Bühne gehen.» Dabei werde große Rechtssicherheit benötigt. Die Legitimität der Europawahl dürfte nicht gefährdet werden.

Führende EU-Parlamentarier reagierten zurückhaltend. «Unsere Position ist klar: Keine Brexit-Verschiebung ohne Klärung», schrieb der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), auf Twitter. Chaos und Unsicherheit dürften nicht von London auf die EU überspringen. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann, wandte sich gegen Mays Idee eines kurzen Aufschubs ohne Teilnahme der Briten an der Europawahl. «Es ist wichtig, dass UK unverzüglich Teilnahme an EU-Wahlen vorbereitet», schrieb Bullmann auf Twitter.

Der Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy Verhofstadt, schrieb ebenfalls im Kurznachrichtendienst Twitter: «Allen in der EU, die geneigt sein könnten, die Brexit-Saga weiter zu verlängern, kann ich nur sagen: Passt auf, was ihr euch da wünscht.» Er bezog dies auf die Ansage des Brexit-Hardliners Jacob Rees-Mogg, dass Großbritannien während einer Verlängerung der Austrittsfrist «so schwierig wie möglich» auftreten und wichtige EU-Entscheidungen blockieren sollte.

Frankreich stufe den Vorschlag für eine Brexit-Verschiebung als etwas verfrüht ein, berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Freitag unter Berufung auf das Amt von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Bis zum EU-Sondergipfel müsse es einen glaubwürdigen Plan Londons geben.

Nach Tusks Vorschlag müsste Großbritannien an der Wahl teilnehmen. May warb für einen anderen Weg: Ihr Land würde eine Europawahl zwar vorbereiten, aber versuchen, noch vor dem ersten Wahltag am 23. Mai mit einem ratifizierten Austrittsabkommen aus der EU auszuscheiden. In dem Fall würde Großbritannien die Europawahl absagen.

May schrieb an Tusk weiter, es sei frustrierend, dass der Prozess noch nicht zu einem «erfolgreichen und geordneten Abschluss» gekommen sei. Sollten die Gespräche mit der Opposition nicht zu einer Lösung führen, will May eine weitere Runde von Abstimmungen im Parlament über «klare Optionen» abhalten. An das Ergebnis werde sich die Regierung halten, sofern die Opposition das auch tue.

Das Parlament in London könnte Mays Pläne für eine kurze Verschiebung des Austritts auch noch durchkreuzen. Am Montag sollen die Beratungen über einen Gesetzentwurf im Oberhaus fortgesetzt werden, der dem Parlament das Recht gäbe, über die Länge des beantragten Aufschubs zu entscheiden. Ob das Gesetz rechtzeitig vor dem EU-Gipfel in Kraft treten kann, war allerdings zunächst unklar.

Tusk wollte seinen Vorschlag einer zwölfmonatigen Verlängerung noch am Freitag den 27 bleibenden EU-Staaten bei einem Botschaftertreffen unterbreiten. Ob alle Staaten eine Verschiebung mittragen – und wenn ja, wie lange – war zunächst offen. Mehrere Diplomaten sagten der dpa in Brüssel, es sei noch zu früh, das einzuschätzen. Auch die EU hat aber kein Interesse an einem No-Deal-Brexit in wenigen Tagen.

Die deutschen Steuerzahler müssten sich bei einem ungeregelten Brexit kurzfristig auf eine Zusatzbelastung von mehreren Hundert Millionen Euro an die Europäische Union einstellen. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sagte der Deutschen Presse-Agentur, «weniger als eine halbe Milliarde Euro» müsste Deutschland dieses Jahr wohl zusätzlich übernehmen, falls Großbritannien ohne Vertrag aus der EU ausscheidet und keine EU-Beiträge mehr zahlt. Die Summe sei jedoch vergleichsweise klein, sagte Oettinger. «Das ist vertretbar.»

2019 entstünde bei einem No-Deal-Brexit ein Finanzloch von netto vier bis fünf Milliarden Euro, sagte der CDU-Politiker. 2020 wären es zwölf Milliarden, die zur Hälfte durch Einsparungen und zur anderen Hälfte durch zusätzliche Beiträge gedeckt werden sollten. Auch dann müsste Deutschland also nachschießen.

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