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Deutsche Tabuthemen

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Flüchtlinge? Islam? Eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach zeigt, dass viele Deutsche Angst haben, sich mit Äußerungen zu diesen Themen den Mund zu verbrennen.

In den USA hat die Reizfigur Donald Trump dafür gesorgt, dass in manchen Familien und unter Freunden nicht mehr über den Präsidenten gesprochen wird. Den Briten geht es beim Thema Brexit ähnlich. Und auch in Deutschland ist das Thema Flüchtlinge ein so heißes Eisen, dass viele Bürger das Thema lieber meiden. Im Freundeskreis. Und in der Öffentlichkeit sowieso.

“Was sind heikle Themen, bei denen man sich den Mund verbrennt, wenn man darüber spricht?” fragte das renommierte Institut für Demoskopie Allensbach 1283 Menschen in ganz Deutschland  – und 71 Prozent wählten aus den vierzehn Antwortmöglichkeiten das Thema Flüchtlinge aus. Ebenfalls als absolut heikel eingestuft: das Thema Islam.

Kluft zwischen Elite und Bevölkerung

Geschäftsführerin Renate Köcher hat die Studie durchgeführt und schreibt dazu in einem Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Die Erregung der Jahre 2015 und 2016 hat sich weitgehend gelegt. Geblieben ist der Eindruck, dass die Eliten die Sorgen der Bevölkerung nicht ausreichend ernst nehmen und sogar unter Verdacht stellen.”

“Mehr Themen werden zu Tabuzonen” – Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach

Auch bei einem dritten Thema kann man sich nach Ansicht der Befragten nur vorsichtig äußern: Vaterlandsliebe und Patriotismus. Vor allem die Entwicklung in den letzten Jahren ist bemerkenswert: Vor gut zwei Jahrzehnten empfanden nur 16 Prozent Patriotismus als heikles Thema, vor 15 Jahren stieg der Wert auf 26 Prozent, aktuell ist dies für 41 Prozent der Deutschen ein Tabuthema.

“Mittlerweile sagt ein Drittel der Bevölkerung, dass sich ein Politiker hüten sollte, Nationalstolz zu bekunden, wenn er sich nicht harten Angriffen aussetzen will”, schreibt Professorin Köcher. Die Bürger würden zunehmend fürchten, als rechts außen zu gelten, wenn sie sich als Patrioten outeten.

Grenzen der Freiheit vor allem im öffentlichen Raum

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie von Allensbach, das seit 1947 den Deutschen auf den Zahn fühlt: es macht einen riesigen Unterschied, sich zu brisanten Themen im Freundes- und Bekanntenkreis oder aber in der Öffentlichkeit zu Wort zu melden. 59 Prozent der Bevölkerung finden, dass privat Meinungen frei geäußert werden können. Im öffentlichen Raum sehen dies nur 18 Prozent gewährleistet.

76 Prozent halten Alexander Gaulands Aussage, die Nazis seien ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte, für inakzeptabel

Allensbach hat bei diesem Punkt nachgehakt und die Deutschen zum Thema Flüchtlinge befragt: demnach sehen es 61 Prozent der Befragten als riskant an, öffentlich zu äußern, dass für Flüchtlinge zu viel getan werde. Im privaten Raum sind dies nur 31 Prozent. Für Renate Köcher werden die Freiheitsspielräume im öffentlichen Raum kleiner. Dazu beigetragen hätten nicht nur “unausgetragene Kontroversen über wichtige Entscheidungen, sondern auch die Rigorosität, mit der bestimmte Sprachregelungen eingefordert werden.”

Kritikpunkt Genderneutralität

Das Ergebnis hier: Jeder zweite Bürger ist überzeugt, dass heute viel mehr darauf geachtet wird, wie man sich in der Öffentlichkeit verhält und was man sagt. Jeder dritte Deutsche sagt, dass freie Meinungsäußerungen nur noch im privaten Umfeld möglich sind. Und 41 Prozent kritisieren die übertriebene Political Correctness.

Viele Deutsche reagieren allergisch auf Gendersprache

Bestes Beispiel dafür: Es solle nicht von “Ausländern” sondern von “Menschen mit Migrationshintergrund” gesprochen werden. “Ein Begriff, der für akademische Seminare, aber nicht für die Alltagssprache taugt,” erklärt die Meinungsforscherin. Zwei von drei Deutschen sehen dies genauso und finden die Wortwahl übertrieben. Auch die Genderneutralität geht der Mehrheit zu weit und sorgt für Unverständnis, quer durch alle Generationen und Bildungsschichten, genauso wie die offizielle Einführung des dritten Geschlechts.

Kopfschütteln bei nachträglichen Verbesserungen

Wenn dann noch Astrid Lindgrens “Negerkönig” in “Pippi Langstrumpf” zum “Südseekönig” umformuliert werden müsste, um nach heutigen Maßstäben politisch korrekt zu sein, ist für viele das Maß voll. Drei von vier Deutschen möchten die Originalversion lieber so belassen und erteilen nachträglichen Korrekturvorschlägen gemäß heutiger Sensibilitäten und Normen eine klare Absage, Tendenz in den letzten Jahren steigend.

Wegen Political Correctness Pippi Langstrumpf ändern?

Vor allem der ostdeutschen Bevölkerung, die laut Köcher “noch relativ frische historische Erinnerungen an Reglementierung und Einengung hat,” gehen diese Diskussionen zu weit. Sie sind zunehmend genervt von Vorschriften, was gesagt werden dürde und wie man sich zu verhalten habe.

Respekt statt Erziehung

“Viele Bürger vermissen in dem Sinne Respekt, dass sie mit ihren Sorgen und Positionen ernst genommen werden wollen, dass über wesentliche Entwicklungen offen diskutiert wird und sie von erzieherischem Furor verschont bleiben” schließt Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach ihren Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Aber immerhin: Bei Themen wie Klimaschutz, Gleichberechtigung, Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung fühlt sich die große Mehrheit der Deutschen nicht in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt. 

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