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Die befrackten Gradmesser der Ozeangesundheit

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Wenn es Pinguinen schlecht geht, geht es auch dem Meer schlecht. Doch es gibt auch Positives zu berichten.

Viel Himmel, wenig Eis. In der Holtedahl-Bucht an der Westküste der Antarktischen Halbinsel hat dieser Adelie-Pinguin keine…

Sie sind die bekanntesten und von Menschen mit der meisten Sympathie bedachten Bewohner der Antarktis: Pinguine. Und sie gelten als vom Klimawandel massiv bedroht. Vom Regen durchnässte und – paradox, aber wahr – aufgrund dieses Wärmephänomens erfrierende Jungtiere des Adelie-Pinguins haben es schon großformatig in Boulevardzeitungen geschafft. Inklusive der Prognose, bald würden sie ganz aussterben.

Es gibt mehr Adelie-Kolonien, als Menschen bekannt ist

Wie es um die Adelies wirklich steht, fragt man aber besser jemanden, der sich mit ihnen auskennt. Klemens Pütz zum Beispiel, freischaffender Pinguinforscher und unter anderem tätig für den Antarctic Research Trust, eine Stiftung, deren Mitgründer er ist. „Besser als wir denken“ gehe es der Art und ihren Populationen, sagt er. „Vermutlich gibt es mehr Kolonien, als uns Menschen bekannt sind.“ Laufend würden neue entdeckt, so erst Anfang 2018 auf den Danger Islands. Satellitenbilder offenbarten eine bislang unbekannte Kolonie mit insgesamt 1,5 Millionen Exemplaren. Die Zahlen seien aber nicht verlässlich. „Das liegt vor allem daran, dass es generell sehr schwer ist, Pinguine zu zählen.“ Momentan gehe man von etwa fünf Millionen Brutpaaren bei dieser Art aus.

Dass es wahrscheinlich eher mehr Tiere als die schon gezählten oder geschätzten gibt, gilt für alle Pinguinarten, die auf dem antarktischen Festland und den benachbarten Inseln brüten. Dort sind allerdings nur sechs der insgesamt achtzehn Pinguin-Spezies anzutreffen. Neben Adelies sind dies noch Zügel-, Esel-, Königs- und Goldschopfpinguine sowie die größte und wohl bekannteste Art: Kaiserpinguine. Deren Männchen brüten ein Ei im antarktischen Winter in zwei Monaten aus, während sich das Weibchen auf Nahrungssuche im weit entfernten Meer begibt.

Schrumpfende Lebensräume

Die antarktischen Arten haben einen entscheidenden Standortvorteil. Sie leben weit vom Menschen entfernt. Anders ist es um die restlichen Spezies bestellt. Deren Lebensraum ist mehr oder weniger dicht von Menschen besiedelt. Allesamt sind gefährdet, mit einer Ausnahme: Dem Zwergpinguin, der die Küsten Australiens, Neuseelands und Tasmaniens bevölkert, geht es gar nicht schlecht. Viele seiner Brutgebiete stehen unter Schutz.


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Den restlichen elf Arten macht so Einiges – mehr oder weniger – zu schaffen. Ihr Lebensraum schrumpft, in Strandnähe werden Straßen und Häuser gebaut oder Felder und Plantagen angelegt. Menschen bringen Tiere mit: Katzen und Hunde gewollt – aber auch Ratten, die ihnen und ihrem Abfall folgen. Sie machen sich über die Küken und Eier der Pinguine her. Häufig landen die flugunfähigen Vögel, die im Wasser ihr Element gefunden haben, auch in Schleppnetzen. Oder leergefischte Meeresgebiete bieten ihnen nicht genug Nahrung. Oder Schweröl im Wasser setzt ihnen zu. Das ist besonders an den Küsten Südafrikas, Namibias, Chiles, Argentiniens und Perus der Fall, aber auch in Australien und Neuseeland.

Fünf Pinguin-Arten sind besonders bedroht

Von den elf gefährdeten Arten sind fünf aktuell besonders bedroht. Der Afrikanische Pinguin, in Südafrika und Namibia zuhause, zählt nur noch 25.000 Brutpaare. Die Situation der Galápagospinguine ist besonders prekär. Hier lebt eine sehr kleine Population auf engstem Raum, nur noch 200 bis 300 Brutpaare gibt es. Sie leben nur dort, sonst nirgendwo. Ähnliches gilt für den Nördlichen Felsenpinguin, der nur auf dem Archipel Tristan da Cunha im Atlantik sowie auf den Inseln Amsterdam und Sankt Paul im südlichen Indischen Ozean mit insgesamt 200.000 Brutpaaren lebt. Der Lebensraum des Gelbschopfpinguins ist ebenfalls sehr eingeschränkt. Es gibt etwa 80.000 Brutpaare, und die nur auf den zu Neuseeland gehörenden Bounty- und Antipodeninseln. „Wenn auf diesen Inseln eine Seuche oder ein Feuer ausbricht, dann war’s das“, sagt Pütz. In Neuseeland bereitet dem Forscher der Gelbaugenpinguin, von dem es nur noch etwa 1700 Brutpaare gibt, aus einem anderen Grund Sorge: Die Tiere jagten am Meeresboden nach Futter. „Doch Grundschleppnetze fischen ihnen den reich gedeckten Tisch zunehmend leer.“

Über all den lokal wirkenden Problemen steht aber tatsächlich jenes menschengemachte globale: der Klimawandel. Welche Auswirkungen er auf die Pinguine haben wird, weiß auch Klemens Pütz nicht. Eins stehe jedoch fest. Auf der Antarktischen Halbinsel verändere sich das Ökosystem am schnellsten. „Und das bekommen die Pinguine schon jetzt am eigenen Leib zu spüren“. So habe sich die Westseite der Halbinsel in den letzten fünfzig Jahren um fünf Grad erwärmt. Statt Schnee falle immer wieder Regen. Die Feuchtigkeit schade den Pinguineiern, der Bestand der Adelies sinke dort. Nur ein paar Kilometer weiter, auf der Ostseite der Halbinsel, gehe es der Art aber gut. „Auch im Rossmeer und weiter im Süden der Antarktis werden die Kolonien größer.“

Eisberge versperren den Tieren den Zugang zu ihren Brutgebieten

Aktuell geht Pütz deshalb davon aus, dass sich diese Entwicklungen die Waage halten. Ähnliches vermutet er bis jetzt für das Phänomen der Tafeleisberge, die immer wieder vor der Küste liegen bleiben. „Einerseits versperren die riesigen Eisberge Kaiser- und Adeliepinguinen den Zugang zu ihren gewohnten Brutgebieten, andererseits stabilisieren sie auch die Meereisdecke und ermöglichen es, dass sich dort eine Kaiserpinguin-Brutkolonie ansiedeln kann.“ Es sei der natürliche Lauf der Dinge in einer sich ständig wandelnden Welt aus Eis.

Das klänge beruhigend, wäre da nicht dieser Wandel, der sich in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit vollzieht. Arten können sich an Veränderungen anpassen. Es darf aber nicht zu schnell gehen. „Die ökologische Nische der Pinguine ist so extrem, dass sie mit der Empfindlichkeit von Seismografen jede Veränderung registrieren und für uns sichtbar machen“, schreibt der Pinguinologe in seinem Buch „Unverfrorene Freunde“ (Ullstein, 2018).

An manchen Orten ist die Überforderung bereits zu spüren. Im Westen der Antarktischen Halbinsel regnet es nicht nur häufiger, auch das Meereis geht deutlich zurück. Und das hat Folgen für die Leibspeise der Adelies. Sie sind auf Krillschwärme angewiesen und fressen selten etwas anderes. Antarktischer Krill benötigt Meereis zum Überwintern. Geht es zurück, hat das fatale Folgen für die Pinguine: Plötzlich gibt es nicht mehr genügend Futter und Küken und Alttiere verhungern. Andere Arten wie etwa Königspinguine jagen zwar vor allem Tintenfische und Leuchtsardinen, die aber wiederum leben ebenfalls von den kleinen Krebstierchen. „Wenn also weiter unten im Nahrungsnetz etwas aus dem Lot geraten ist, ist das sofort bei den Pinguinen spürbar“, erklärt Pütz.

Übersäuertes Wasser, veränderte Meeresströmungen, extreme Wetterlagen

Weil Pinguine an Land brüten, ist ihr Zustand für Forscher zumindest leicht zu dokumentieren. Das Befinden der Pinguine ist damit ein vergleichsweise leicht abzulesender Gradmesser für den Zustand nicht nur der südlichen Weltmeere: Sie sind zunehmend leer gefischt. Und übersäuert. Der hohe, von Menschen verursachte Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre senkt den pH-Wert der Ozeane. Auch das stört den Krill, wie Forscher von der Universität von Tasmanien herausgefunden haben.

Und noch eine Veränderung kündigt sich an: Meeresströmungen verschieben sich. „El Niño“-Ereignisse gab es zwar schon vor dem globalen Klimawandel. Sie führten aber trotzdem beispielhaft vor Augen, was solche Verschiebungen, wenn sie sich rasant vollziehen, für Auswirkungen auf ein Ökosystem haben könnten, sagt Pütz. Alle paar Jahre, meist zur Weihnachtszeit, sorgt das komplexe Klimaphänomen dafür, dass das Wetter an den Küsten vor Nordchile und Peru abrupt umschlägt. Normalerweise herrscht in dieser Region stets ein stabiles Hoch. In einem El-Niño-Jahr bricht es jedoch plötzlich zusammen. Die Folge: Passatwinde, die ständig zwischen der Westküste Südamerikas und der Ostküste Australiens zirkulieren und das Weltklima mitprägen, schwächen sich plötzlich ab, Meeresströmungen verändern sich. Für gewöhnlich drückt der kalte Humboldtstrom nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche und transportiert es die Pazifikküste entlang nach Norden. Bei El Niño wird der Humboldtstrom schwächer und kommt schließlich zum Erliegen. Der nährstoffreiche Nachschub vor der Küste versiegt. Galápagos- und Humboldtpinguine bekommen die Folgen deutlich zu spüren. „Nach einem El Niño sieht man nur noch halb so viele wie im Jahr zuvor“, sagt der Pinguinforscher und betont, dass das Klimaereignis nicht nur für Pinguine verheerend ist: Erst treffe es die Algen, dann die Fische, dann die Fischesser. Es komme zu einem Massensterben der Seevögel und der Meeresbewohner, auch die Fischerei breche komplett ein.

Die Folgen des Klimawandels sind komplex und nur schwer abschätzbar. In Sachen El Niño kursiert unter Wissenschaftlern eine düstere Prognose. Sie sagt voraus, dass sich dieses extreme Wetterereignis durch den Klimawandel verstärken, in Zukunft doppelt so häufig auftreten wird, ja sogar zur dauerhaften Erscheinung werden könnte. „Dann werden die Galápagospinguine wohl bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben sein.“ Es könne sogar viel schneller gehen, so Pütz.

Genomanalysen deuten auf krisenfeste Pinguine

Es gibt aber auch Hoffnung – dort, wo sich der Wandel möglicherweise schleichender bemerkbar macht. An der antarktischen Polarfront, einem Strömungssystem, das ebenfalls nährstoffreiches Tiefenwasser an die Oberfläche bugsiert, könnte das der Fall sein. Doch auch hier ist ein drastisches Szenario denkbar: Über Jahrtausende konnten sich die Königspinguine, die auf den subantarktischen Inseln Crozet, Marion oder den Kerguelen brüten, auf die üppige Futterquelle verlassen. Doch mit dem Klimawandel verlagert sich die antarktische Polarfront nach Süden und damit auch die Jagdgründe der Königspinguine. Obwohl die Tiere ausgezeichnete Langstreckenschwimmer sind – weit mehr als hundert Kilometer am Tag sind die Regel – könnte das in Zukunft zum Problem werden. Irgendwann dauern die Jagdzüge der Elterntiere zu lange. Die Jungtiere würden verhungern, weil sie zu lange auf Futter warten müssen.

Doch die Studie eines internationalen Forschungsteams um den Evolutionsbiologen Emiliano Trucchi sorgt für Lichtblicke. Der Forscher von der Universität Ferrara analysierte das Genom der Pinguinart. Die Analyse lässt darauf schließen, dass die Vögel in den letzten 50 000 Jahren bereits ähnliche kritische Phasen – ausgelöst durch frühere Klimawandelereignisse – überlebt haben müssen. Die verschiedenen Pinguinkolonien zeigten kaum genetische Unterschiede. Das sei ein Zeichen, dass die Tiere offenbar regelmäßig zwischen den Kolonien hin- und hermigrierten. Es scheint, als seien Königspinguine sehr gut darin, sich neue Brutstätten zu erobern, wenn am bisherigen Ort ein Notstand ausbricht.

Davon weiß auch Klemenz Pütz zu berichten: 2010 wurde er Zeuge einer Sensation. In der Magellanstraße am Südzipfel Südamerikas – traditionell das Stammgebiet der Magellanpinguine – brüteten plötzlich Königspinguine. 2017 zählte die neue Kolonie bereits hundert Alttiere und zehn Küken. Warum sich die Tiere plötzlich auf dem südamerikanischen Kontinent vermehren, ist nicht klar. Vielleicht sind sie Klimaflüchtlinge.

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