Wissen und Technik

Ein Neuanfang fürs BIG

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Der Interimsvorstandsvorsitzende wechselt – und es soll eine Integration in die Charité geben: Das Berliner Institut für Gesundheitsforschung soll endlich aus seinen Querelen herauskommen.

Das BIG soll in die Charité integriert werden.

In der Vorstandsarbeit gibt es „Interessenskonflikte“. Eine einheitliche und konsensuale Leitung wird „behindert“, eine klare Profilbildung „erschwert“. So kritisch urteilt ein neues Gutachten über das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG). Erstellt haben es Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PWC), im Auftrag des Bundesforschungsministeriums.

Das Gutachten soll Wege aufzeigen, wie die Konflikte rund um das Prestigeprojekt der Berliner Wissenschaft gelöst werden können. Das mit vielen Millionen Euro vom Bund geförderte Institut haben Insider schon einmal mit dem BER verglichen, weil es seit dessen Gründung 2013 so langsam vorangeht: Im vergangenen Jahr stürzte der Wechsel des damaligen Vorstandsvorsitzenden nach Potsdam das Institut in eine Krise. Es gab Streit um die inhaltliche Ausrichtung. Das BIG sowie die Charité und das Max-Delbrück-Centrum (MDC), die das Institut gemeinsam tragen, sollen sich in zentralen Fragen uneins gewesen sein.

Nun wird es offenbar einen Neuanfang für das BIG geben. Es soll in die Charité eingegliedert werden, um die komplizierte Struktur des Instituts zu entschlacken. Das empfiehlt nicht nur das besagte Gutachten, dessen Zusammenfassung dem Tagesspiegel vorliegt. Die Integration wird dort als „überzeugendste Lösung“ bezeichnet. Eine dahingehende Neuordnung hat auch der Aufsichtsrat auf seiner Sitzung am vergangenen Freitag in die Wege geleitet. „Der Aufsichtsrat bittet die Zuwendungsgeber, die Möglichkeit einer Integration in die Charité strukturell und inhaltlich zu konkretisieren“, heißt es in der dort verabschiedeten Beschlussvorlage. „Für alle Beteiligten wäre das eine perfekte Lösung“, sagt Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach.

Der Charité-Dekan übernimmt auch die Leitung des BIG

Auch personell gibt es einen Wechsel: Charité-Dekan Axel Pries übernimmt ab sofort als Interimsvorstandsvorsitzender die Leitung des BIG, die bisher MDC-Chef Martin Lohse innehatte. „Wir erhoffen uns von dieser Governance-Version eine bessere Handlungsfähigkeit des BIG“, sagte Pries auf Anfrage. Eine Integrationslösung würde er sehr begrüßen: „Das wird viele Dinge leichter machen.“

Der Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung für die Integration soll bis zur kommenden Aufsichtsratssitzung vorgelegt werden. Die ist für den November geplant, könnte aber auch vorgezogen werden, sollte der Text der Vereinbarung schneller fertig sein. Ob es wirklich dazu kommt, ist allerdings noch nicht ganz sicher. Auf Drängen von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) soll parallel auch eine Entkopplung des Instituts von Charité und MDC geprüft werden. Beide Vorschläge, Integration und Entkopplung, wurden vom Aufsichtsrat einstimmig angenommen. Über den Vorgang berichtete als erstes Tagesspiegel-Kolumnist Jan-Martin Wiarda in seinem Blog.

Die Hauptaufgabe des BIG ist „translationale“ Medizin: Fortschritte der Grundlagenforschung sollen in bessere Therapien übersetzt werden. Dafür sollten Teile der Forschung von Charité und MDC fusionieren, so die Grundidee bei der Gründung. Doch dass es in der Praxis damit nicht so recht voranging, lag auch an der komplizierten rechtlichen Konstruktion des BIG. Die Charité und das MDC blieben zwar selbstständig, sind als „Gliedkörperschaften“ des BIG aber gleichzeitig dessen Töchter. Daran nahm man vor allem an der Charité Anstoß – denn dies stelle das eigentliche Verhältnis völlig auf den Kopf, dass sich die „Weltmarke“ Charité dem BIG quasi unterordnen müsse.

Für Jürgen Zöllner eine “ausgesprochen erfreuliche Entwicklung”

Vor diesem Hintergrund nennt Jürgen Zöllner, Vorstand der Stiftung Charité, den Integrations-Plan „eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung“. Die Konstruktion, das BIG als herausgehobene bundesfinanzierte Forschungseinrichtung an der Charité zu installieren, „wäre von Anfang an sinnvoll, aber leider nicht möglich gewesen“, sagt Zöllner, der das BIG als Berlins SPD-Wissenschaftssenator gemeinsam mit der damaligen Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) einst auf den Weg gebracht hatte. Die Grundgesetzänderung, die eine direkte Bundesförderung für universitäre Einrichtungen möglich machte, kam erst 2015. Die millionenschwere Bundeshilfe für die Berliner Gesundheitsforschung konnte zuvor also nur über das außeruniversitäre Max-Delbrück-Centrum organisiert werden. Dass in der Folge das BIG als „Mutter“ von Charité und MDC fungierte, fand dann auch Zöllner „nicht so glücklich“.

Sollte es nun zur Ankoppelung des BIG an die Charité kommen, „wäre endlich klar, wer den Hut aufhat“, sagt Zöllner. Es sei doch nur logisch, die Berliner Spitzenforschung im Bereich der Translation „beim größten Player“ anzusiedeln. Ansonsten würde man sich weiterhin in Profilierungskämpfen aufreiben. Klar müsse aber auch sein, dass das BIG ein selbstständiger, finanziell autonomer Teil der Charité wird. „Wir werden dafür sehr gute Möglichkeiten finden“, sagt der neue Vorstandsvorsitzende Pries. Vorbild könnte das Exzellenzcluster Neurocure sein, dass ebenfalls sehr selbstständig agiere.

Das PWC-Gutachten empfiehlt, das BIG solle auf jeden Fall einen eigenen Vorstand und einen eigenen Wirtschafts- und Finanzplan behalten – schon allein um Sorgen des Bundes zu zerstreuen, die Charité könnte BIG-Mittel – insgesamt sind es rund 80 Millionen Euro im Jahr – zweckentfremden. Von einem „Zaun“ um die Bundesfinanzen spricht einer der Beteiligten. Das MDC wäre künftig zwar nicht komplett außen vor. Seine Rolle soll in einer „privilegierte Partnerschaft“ liegen, heißt es in dem Aufsichtsratsbeschluss. Laut Pries haben sich Charité und MDC dafür bereits auf ein Eckpunktepapier geeinigt: „Wir sind doch in einer Interessensgemeinschaft, schon weil wir am selben Ort sind.“

Warum besteht die Bundesforschungsministerin auf einer weiteren Option?

Insgesamt würde die Vollintegration in die Charité „in höchstem Maße eine schnittstellenfreie Kooperation“ ermöglichen, schreiben die Gutachter. Es handele sich „inhaltlich/operativ um die überzeugendste Lösung“. Eine Entflechtung dagegen sei eher „nachteilig“: Sie „löst Steuerungsprobleme tendenziell nicht“.

Warum hat die Bundesforschungsministerin dennoch darauf bestanden, auch diese Option zu prüfen? Das BMBF erklärt lediglich, Details und Konsequenzen beider Lösungsansätze würden im Zuge der weiteren Prüfung entwickelt. Zu hören ist indes, dass Karliczek die Entflechtung erst kurz vor der Aufsichtsratssitzung auf den Plan setzte. Nicht nur Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach, auch Karliczeks Staatssekretär Georg Schütte seien „aus allen Wolken gefallen“ über den Kurs der Ministerin. Krach und Schütte hätten über die Vollintegration bereits seit Monaten verhandelt.

Hintergrund für Karliczeks Vorgehen dürfte eben jene bundespolitische Bedeutung des Vorhabens sein. Seit jeher haben die anderen Länder das BIG skeptisch beäugt, fließt doch viel Bundesgeld in die Hauptstadt. Wird das Institut nun in die Charité integriert, würde tatsächlich zum ersten Mal die 2015 beschlossene Grundgesetzänderung auch angewandt – der Bund würde also erstmals dauerhaft direkt eine Universität mitfinanzieren und nicht über eine Umwegskonstruktion. Der Bund soll auch einen Sitz im Aufsichtsrat der Charité bekommen, das wäre ebenfalls ein Novum. Gut möglich also, dass einige Länder signalisiert haben, dem Ganzen nicht ohne Weiteres zustimmen zu wollen – und dass Karliczek diesen Bedenken Rechnung tragen will.

Die anderen Länder beäugen das BIG kritisch

Die Zustimmung der Länder ist wichtig: Denn das Vorhaben muss in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern einstimmig beschlossen werden. Das sei durchaus „eine Hürde“, sagt Staatssekretär Krach. Er sei dennoch optimistisch, diese zu nehmen. Schließlich wolle Berlin kein zusätzliches Geld vom Bund: „Es geht nur um eine Veränderung der Struktur, um das BIG effizienter zu machen.“

Jürgen Zöllner lehnt Karliczeks Idee, das BIG eigenständig weiterzuführen, ab. Ohne den weltweit bekannten Namen „Charité“ würde es noch einmal bis zu 20 Jahre dauern, ein Berliner Institut für Gesundheitsforschung international als Marke neben den zwei, drei anderen großen Standorten der medizinischen Spitzenforschung zu etablieren, sagt Zöllner.

Wie geht es unterdessen am BIG voran? Dass es dem ursprünglichen Zeitplan hinterherhinkt, ist bekannt. Zwar ist mit etwa 30 BIG-Professuren ein Großteil der geplanten Positionen besetzt. Doch es fehlt noch immer ein knappes Dutzend, ist zu hören. Die Berufungsverfahren sollen nun ungeachtet des offenen Status des Instituts weitergeführt werden.

Noch ist es schwer, internationale Spitzenforscher zu berufen

„Das Schiff nimmt Fahrt auf und ist auf einem guten Kurs“, sagt Axel Pries. Zwar sei bislang nicht alles Geplante erreicht worden – wie etwa die Berufung herausragender internationaler Spitzenforscher für entsprechende herausgehobene Professuren. Da die Gebäude für das BIG aber noch im Bau sind, sei es auch nachvollziehbar, dass etwa Harvard-Forscher bisher schwer anzulocken seien. „Wir wollen in der nächsten Phase dafür mehr auf jüngere Wissenschaftler setzen.“

Und wenn in drei Jahren die neuen Häuser des BIG stehen „und wir wissenschaftlich erfolgreich waren, können wir international mit viel mehr Selbstbewusstsein agieren”.

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