Wissen und Technik

Ein Repertoire an Fakten über neue Technologien

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Zukunftstechnologien brauchen ein Observatorium. Die “Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht” der BBAW übernimmt diese Rolle seit 20 Jahren.

Mit der “Crispr”-Technik, einer Art Genschere, lassen sich an jeder beliebigen Stelle im Erbgut DNS-Stücke einsetzen oder…

Die Gentechnologie hatte in Deutschland einen schlechten Start. Man möchte sagen: zum Glück! Als man in den USA in den 1990er Jahren vorpreschte und eine Vielzahl von Gentherapieexperimenten an „austherapierten“ Patienten wagte, die grausam scheiterten, gab das nicht nur den Anstoß zu mehr Grundlagenforschung, sondern auch zum Monitoring – zu einem kritischen Beobachten der zukunftsträchtigen Technologie. So entstand an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) ein „Observatorium“ der Gentechnik-Entwicklung, die „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht“.

Ferdinand Hucho ist emeritierter Biochemie-Professor der FU Berlin und Initiator der „IAG Gentechnologiebericht“.

Seit nunmehr zwanzig Jahren behält das Observatorium die Entwicklung der Gentechnologie in Deutschland im Auge – nichts Vergleichbares gibt es bisher. Im Schutzraum der Akademie ist die Unabhängigkeit der Arbeit von äußeren Einflüssen garantiert: kein externer Geldgeber kann Einfluss nehmen. Keine politischen, ökonomischen oder ideologischen Interessen können die Ergebnisse des Monitorings – der vierte Bericht liegt jetzt vor – verfälschen, sei es zu den Entwicklungen in der Stammzellforschung, der Gentherapie, der Synthetischen Biologie, der Gendiagnostik oder der Grünen Gentechnik.

Indikatoren machen Einschätzung der Gentechnologien messbar

Für das Beobachten und Bewachen braucht es Experten. Die gibt es an einer Akademie reichlich, auch für ein komplexes Thema wie die Gentechnologie. Nicht nur die Naturwissenschaften sind betroffen, auch Fragen des Rechts, der Ökonomie und nicht zuletzt der Ethik sind relevant. Zur IAG gehören daher neben den Molekularbiologen, Biochemikern, Genetikern und Zellbiologen auch Professoren des Rechts, der Philosophie, der Soziologie.

Wichtigstes Werkzeug für das Monitoring sind die „Indikatoren“. Damit lassen sich unscharfe Größen, etwa die „Bedeutung“ einer Entwicklung zumindest teilweise exakt messen: Wie viel Fördergelder fließen in eine Technologieentwicklung, wie viele Wissenschaftler beschäftigen sich damit, wie viel publizieren sie, wie viele Patente melden sie an. Risiken lassen sich abschätzen anhand von Indikatoren wie der Anzahl von Fehlschlägen, Unfällen, unerwarteten Ereignissen. Indikatoren erlauben Vergleiche, machen Entwicklungen sichtbar. Die Daten gibt es, sie müssen nur fachkundig ausgesucht, bewertet und zusammengestellt werden – ein aufwendiges, aber lohnendes Verfahren.

Denn das Observatorium stellt ein Repertoire an Fakten und Daten zur Verfügung, das der Versachlichung des Diskurses dienen kann. Man hätte sich ein solches unabhängiges Observatorium für die aufbrechende Atomtechnik gewünscht. Man kann es empfehlen für anstehende Innovationen wie die Digitalisierung, die Automatisierung, die Energiewende, Big Data und Personalisierte Medizin – für alles, was an komplexen, für den oberflächlichen Blick undurchsichtigen und deshalb unheimlichen Entwicklungen auf uns zukommt und gesellschaftlicher Regulierung und Entscheidungen bedarf.

Eine Technik wird erwachsen

Der Fall der Gentherapie zeigt: Während der Ansatz in den Neunzigerjahren wegen der katastrophalen Fehlschläge beinahe zum endgültigen Aus geführt hätte, gibt es jetzt ein erfolgreiches Comeback: Seit 2015 wurden in Europa und den USA sechs verschiedene Gentherapien zugelassen. Weitere werden folgen. Der Anteil der Biopharmazeutika an den Neuzulassungen innovativer Medikamente steigt. Und die Entwicklung der Gendiagnostik kann als dramatisch bezeichnet werden. Gentests werden die Therapie revolutionieren, indem sie helfen, die Behandlung auf den einzelnen Menschen zuzuschneiden, zu „individualisieren“. Auch die „Grüne Gentechnik“ meldet Durchbrüche: Die mühsame klassische Züchtung besserer Nutzpflanzen, die auf der zufälligen Herstellung von Mutationen durch Chemikalien oder radioaktive Bestrahlung beruhen, wird schon jetzt von der CRISPR/Cas9-Technik verdrängt und wohl auch dem noch immer nicht akzeptierten „Genfood“ zum Durchbruch verhelfen.

Auch langfristige Trends macht das Monitoring sichtbar: Vor der Jahrtausendwende wurde noch überwiegend über Chancen und Risiken der Gentechnologie diskutiert. Letztere haben sich in den zwei Jahrzehnten nicht materialisiert – und wir beobachten eine zunehmende Ethisierung der Debatte: Gibt es Grenzen des Erlaubten? Darf man alles, was man kann? Die Debatte der 1990er, als vor allem über eventuelle Risiken der Neukombination von Genen unterschiedlicher Spezies diskutiert wurde, haben die neuen technischen Entwicklungen obsolet gemacht: Mit Gen-Scheren wie CRISPR/Cas9 (kurz Crispr), mit denen das Erbgut editiert werden kann, ist der Transfer artfremder Erbgutabschnitte nicht mehr erforderlich. Das „Unnatürliche“ der Gentechnologie tritt in den Hintergrund, stammen doch sogar die Werkzeuge der Gentechnologie – etwa die Crispr-Gen-Schere – aus der Natur.

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