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Feindbild Israel

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Antisemitismus war in der DDR offiziell tabu. Doch mit antizionistischer Propaganda wurden alte Verschwörungstheorien bedient. Das Erbe wirkt bis heute nach.

Völkerfreundschaft. Erich Honecker gab 1982 in Ost-Berlin ein Dinner zu Ehren von PLO-Chef Yassir Arafat. Die Sympathien des…

Wie die Deutschen in der gerade erlöschenden DDR und in der einheitsseligen BRD über Juden und den Antisemitismus dachten, versuchten Meinungsforscher im Oktober 1990 zu ergründen. Dass Israel ein Staat wie jeder andere sei, bejahten 57 Prozent der Westdeutschen. In Ostdeutschland glaubten das nur 40 von hundert. Auf die klassische Frage, ob die Juden zu viel Einfluss in der Weltpolitik hätten, antworteten dagegen nur 20 Prozent der befragten DDR-Bürger, aber 44 Prozent der Bundesbürger zustimmend.

Woher rührten diese in der Wendezeit so deutlichen Unterschiede? Dass Antisemitismus in der DDR nicht nur politisch tabuisiert war, sondern vielmehr 40 Jahre lang verkündet wurde, es gebe ihn nicht, wurde umso lieber geglaubt, als es die moralische Position des Oststaats gegenüber dem Weststaat stärkte. Der Jubel über den im Osten so deutlich geringer ausgeprägten Antisemitismus allerdings verhallte rasch, denn die Meinungen über Juden glichen sich schnell an. Zum Erbe der DDR gehören bis heute ein feindseliges Israelbild und die Definition des Zionismus als Kampfbegriff, der dem Staat Israel die Legitimation abspricht. Antisemiten dient dies indes als Ventil für Ressentiments, die angeblich aber nicht „den Juden“ gelten, sondern „nur den Zionisten“.

Innenpolitisch waren Juden keine relevante Größe

Die von DDR-Bürgern geforderte Parteinahme für die arabische Seite bei gleichzeitiger Verdammung Israels als Schurkenstaat ist nach Jahrzehnten der Indoktrination nicht einfach aufzulösen oder durch einen differenzierten Blick zu ersetzen. Das östliche Feindbild Israel korrespondierte mit solidarischen Emotionen im Westen angesichts palästinensischen Leides und berechtigter Kritik an Entscheidungen und Handlungen der israelischen Regierung wie der De-facto-Verweigerung einer Zwei-Staaten-Lösung. Die Legende, die Bundesrepublik zahle an Israel Reparationen in Form von Waffen, verstärkte das in der DDR generierte Feindbild.

Die Haltung der DDR zu Israel stand wie die gegenüber den Juden im eigenen Land in Wechselwirkung zu politischen Prämissen. Außenpolitisch gab Moskau den Kurs vor, innenpolitisch bildeten Juden keine relevante Größe, die Rücksichtnahme erfordert hätte. Von den jüdischen Gemeinden erwarteten Staat und Partei den Gleichschritt mit der sozialistischen Gesellschaft und das bedeutete – in der politischen Räson des Ostblocks – Ablehnung Israels.

Der ausgrenzende, einen grundsätzlichen und unaufhebbaren Loyalitätskonflikt voraussetzende Verdacht gegen die Minderheit („erst Jude, dann sozialistischer Staatsbürger“) bestimmte auch im Blick auf Israel das Verhalten des Staats- und Parteiapparats. Die Attitüde stand in der verschwörungstheoretischen Tradition des Antisemitismus und ist mit der DDR so wenig verschwunden wie andere Vorbehalte gegen Juden. Antisemitische Unterwanderungs- und Verschwörungstheorien waren im Umgang mit der jüdischen Minderheit üblich. Das stand im deutlichen Gegensatz zur Selbstwahrnehmung der DDR, die das Mantra deklamierte, der Antisemitismus sei im antifaschistisch legitimierten Staat ausgerottet.

Israel als mutwilligen Akteur eines Vernichtungskrieges dargestellt

Stereotyp wurde das Konstrukt vorgetragen, durch die Staatsgründung und vor allem nach dem Sechstagekrieg hätten sich in Israel jüdische Opfer des Holocaust in Täter verwandelt. Die Medien der DDR pflegten es mit Parolen, nach denen sich die Juden im besetzten Gebiet gegenüber den Palästinensern verhielten wie einst die Nazis ihnen gegenüber. Das Verdikt „Zionismus – das ist Rassismus“ hatte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS vorgegeben, was eine Berliner Zeitung in eifriger Gefolgschaft als „Tel Aviv praktiziert extremen Rassismus“ zitierte.

Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt stellte Israel als mutwilligen Akteur eines Vernichtungskrieges dar. Auch wurde insinuiert, NS-Ideologie und nationalsozialistische Mordpraxis hätten das Vorbild geboten. So wurde der Sechstagekrieg in der „Aktuellen Kamera“ am 7. Juni 1967 als „imperialistisch-jüdische Verschwörung“ gebrandmarkt und mit dem schon von der NS-Propaganda bedienten Feindbild des Juden als Kapitalisten verknüpft: „An der New Yorker Börse floriert bereits das Geschäft für die imperialistischen Hintermänner des israelischen Aggressors: Die Aktienkurse zogen an.“

Das Agitprop-Getöse Karl Eduard von Schnitzlers im DDR-Fernsehen bot schlichte Welterklärungen nach dem Schema Gut oder Böse. Der zu Formeln gestanzte Antizionismus ist leicht mit den antisemitischen Goebbels-Parolen in Verbindung zu bringen. Die Abscheu des NS-Propagandaministers vor Juden war zu eingängig formuliert, um vergessen werden zu können, und das galt auch für Schnitzlers antiisraelische Schmähungen. Das (unbewusste) Erbe nationalsozialistischer Propaganda verband sich mit den Parolen der DDR-Agitation. Drei Jahrzehnte lang nannte der Fernsehstar Israel zionistisch, imperialistisch und rassistisch und erklärte es damit zum Weltfeind, wie Goebbels das „Weltjudentum“ stigmatisiert und verdammt hatte. Der nationalsozialistischen Anmaßung „Großdeutschland“ stellte Schnitzler zudem das Konstrukt „Groß-Israel“ zur Seite, er hasspredigte über „israelisches Herrenmenschentum“ und setzte Zionismus und Nationalsozialismus gleich.

Jugendliche wurden in “Atze” und “Mosaik” indoktriniert

Auf subtilere Weise erfolgte die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen. Um antiisraelische Emotionen zu wecken, wurden Mitleid und Solidarität mit palästinensischen Kindern stimuliert. Der Erziehungsauftrag zum Antizionismus wurde gegenüber „Jungpionieren“ in der „ABC-Zeitung“ und gegenüber den etwas älteren „Thälmann-Pionieren“ in der „Trommel“ wahrgenommen. Die Magazine „Atze“ und „Mosaik“ bedienten, jugendgerecht aufgemacht, judenfeindliche Klischees („Kindermörder“) und förderten Abscheu vor dem „Terrorstaat Israel“, dem mit solidarischer antiimperialistischer Internationalität zu begegnen sei.

Antisemitische Bilder wurden durch antizionistische Darbietungen eingeübt und fixiert. Sie wirkten auf jugendliche Gemüter auch wegen ihrer scheinbar immanenten Logik und wegen ihrer Rückbindung an die Tradition judenfeindlicher Ideologeme. Dass sich junge Pioniere mit dem Leid der Opfer „israelisch-imperialistischer Aggression“ identifizierten, war über Emotionen herbeigeführt und deshalb nachhaltig. Auch wenn die Methoden der Indoktrination und Inanspruchnahme zunehmend von den Jugendlichen infrage gestellt und abgelehnt wurden.

Wer 1982 im Alter von zwölf Jahren davon überzeugt wurde, dass die reichen und kriegerischen Israelis sehr böse, die armen und friedlichen Palästinenser dagegen sehr gut sind, wird das auch am fünfzigsten Geburtstag im Jahre 2020 nicht vergessen haben.

Die mediale Verurteilung Israels als Urheber militaristischen Terrors gegen die arabische Zivilbevölkerung, gipfelnd im Vorwurf des Völkermords am palästinensischen Volk, relativiert auch den Holocaust. Das war auch vielen im rechten Lager der alten Bundesrepublik ein Anliegen. Das Verdikt korrespondiert mit der Leugnung des Judenmords und dem Ruf nach dem überfälligen Schlussstrich unter die Aufarbeitung belasteter Vergangenheit. Der Erfolg des Rechtspopulismus auf dem Territorium der ehemaligen DDR beruht auch darauf, dass die antizionistische Propaganda für diesen Aspekt des Antisemitismus den Boden bereitet hat.

Wirkungsmächtiges Erbe der DDR

Die Idee des Zionismus zu diffamieren und gleichzeitig den Begriff zur politischen Kampfparole gegen Israel abzuwerten, gehört zum wirkungsmächtigen Erbe der DDR. Auch in den Reihen der „Alternative für Deutschland“ (AfD), deren politisches Programm aus Provokation und fremdenfeindlichem Wutgebrüll besteht, wird die Meinung vertreten, man müsse „die Zionisten“ bekämpfen, wogegen man gegen „die Juden“ nichts habe. Die abstruse Agitation eines Abgeordneten der AfD im Stuttgarter Landtag gegen „Zionisten“, von der sich die Partei nicht durch seinen Ausschluss distanziert, beweist zwar, dass Antizionismus als Israelfeindschaft nicht Alleinbesitz der DDR war, aber er war dort Staatsdoktrin.

Wirkungen des Feindbildes Israel sind fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Staates zumindest latent noch vorhanden und spürbar. Karl Eduard von Schnitzler hatte den Zionismus „die jüdische Variante des Imperialismus“ genannt und damit der Staatsräson der DDR eine ideologiekonforme Dosis Judenfeindschaft beigemengt. In der DDR wurde das im Nationalsozialismus und seiner langen Vorgeschichte propagierte und praktizierte Feindbild „Jude“ zwar tabuisiert, aber im Feindbild „Israel“ sublimiert.

Soeben ist ein von Wolfgang Benz herausgegebenes Buch zum Thema erschienen: Antisemitismus in der DDR. Manifestationen und Folgen des Feindbildes Israel. Metropol Verlag, Berlin. 275 Seiten, 19 Euro. Benz stellt es am Donnerstag, 21. Februar, um 19 Uhr in der Gedenkstätte Berliner Mauer öffentlich vor. Eine Anmeldung bei der Landeszentrale für politische Bildung ist erforderlich.

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