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Katar im Finale: Wurzel einer neuen Sportkultur?

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Mit dem Einzug ins Finale des Asian Cups feiern die Fußballer Katars den größten Erfolg ihrer Geschichte. Der Gastgeber der WM 2022 hofft nun auch auf eine nachhaltige Wirkung im eigenen Land.

Felix Sanchez Bas ballte seine Fäuste. Der Trainer des katarischen Nationalteams erlaubte sich eine kurze Triumphgeste, dann ging er zu den Spielern, bewegte seine ausgestreckten Hände von oben nach unten. Als wolle er die Aufregung um sich herum dämpfen. Seine Mannschaft hatte gerade das Halbfinale der Asienmeisterschaft 4:0 gegen den Gastgeber gewonnen, die Vereinigten Arabischen Emirate. Und das in einem Klima der Feindseligkeit: Tausende Zuschauer johlten gegen Katar. Einige warfen sogar Flaschen und Schuhe auf den Rasen – in der arabischen Welt ein Zeichen der tiefen Abneigung.

Über Tage war das Spiel von Medien als “Blockade-Derby” bezeichnet worden. Denn im Juni 2017 hatte Saudi-Arabien eine Handelsblockade über Katar verhängt. Einer der Partner, der die Beziehungen zu Doha ebenfalls abbrach: die Emirate. “Es war wirklich nicht leicht”, sagte Katars Coach Sanchez nach dem Halbfinale. “Aber unsere Spieler haben ihre Emotionen gut kontrolliert.” Während des ganzen Turniers waren so gut wie keine katarischen Fans in den Stadien, auch die meisten Familien der Spieler blieben fern.

Bühne der Selbstbehauptung

In den Tagen vor dem Halbfinale in Abu Dhabi hatte die örtliche Sportbehörde alle verbliebenen Tickets an “loyale Fans” verteilt. Sie mussten sich als Bürger der Emirate ausweisen. Schulen beendeten ihren Unterricht am Dienstag zwei Stunden früher. Im Viertelfinale gegen Südkorea hatten noch Zuschauer aus Oman den 1:0-Sieg Katars bejubelt – eine Wiederholung wollte die Führung in Abu Dhabi nun verhindern. Auch mit Warnungen, dass eine Voreingenommenheit für Katar juristisch bestraft werden könne.

Zeichen der Verachtung für die Katarer: Wurfgeschosse auf dem Stadionrasen in Abu Dhabi

So prägten seit dem frühen Nachmittag tausende Männer in traditionellen weißen Gewändern das Stadionumfeld. Mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Achtzig Prozent der Bevölkerung in den Emiraten sind Arbeitsmigranten, doch Zuschauer aus Indien oder Pakistan waren nicht willkommen.

Dass die katarische Auswahl unter diesen Bedingungen ihren sechsten Sieg im sechsten Spiel des Turniers feierte, mit einer Torbilanz von 16:0, verdeutlicht die sportliche Entwicklung. Das Finale am Freitag gegen Japan bietet dem in der Golfregion isolierten Emirat eine Bühne der Selbstbehauptung. “Wir haben viel Selbstbewusstsein gewonnen”, sagte Trainer Sanchez. “Aber unsere Leistungen sind keine Überraschung. Wir haben dafür jahrelang hart gearbeitet.” Die Testspiele vor dem Asian Cup gegen Teilnehmer der WM 2018 geben ihm recht: 2:2 gegen Island, 1:0 gegen die Schweiz.

Vier Nationalspieler wurden im Ausland geboren

Felix Sanchez Bas, 43 Jahre alt, begann seine Laufbahn als Jugendtrainer beim FC Barcelona. 2006 wechselte er in die “Aspire Academy” in Doha, eines der weltweit größten Trainingszentren. Die 2004 eröffnete Akademie sei mit zwölf Fußballfeldern das Zentrum für die größte Talentsichtung der Fußballgeschichte, berichtet der Fernsehjournalist Florian Bauer, der für die ARD mehrfach in Katar recherchiert hat. Hunderttausende Jugendliche wurden in Dutzenden von Ländern auf drei Kontinenten beobachtet. Die Vergabe der WM 2022 an Katar im Jahr 2010 intensivierte den Austausch mit Wissenschaftlern und Akademien in Europa.

Torjäger Almoez Ali (r.) traf schon achtmal

Sanchez half beim Aufbau des Systems, übernahm 2013 die U19-Auswahl Katars und führte sie ein Jahr später zum Gewinn der Asienmeisterschaft. So lernte er in der Akademie auch jene Spieler kennen, die aktuell das Gerüst des A-Nationalteams bilden. Seit 2017 betreut er die Auswahl, die ein Durchschnittsalter von 24 Jahren hat. Etliche der 23 Spieler im Kader haben durch ihre Vorfahren Wurzeln in anderen Ländern. Doch nur vier wurden nicht in Katar geboren, darunter der in Portugal aufgewachsene Verteidiger Ro-Ro und der im Sudan geborene Stürmer Almoez Ali. Der 22-Jährige schoss bei der Asienmeisterschaft acht Tore.

Nationalteam repräsentiert Gesellschaft kaum

Die Fußballmärkte in Europa schauten lange misstrauisch auf Einbürgerungen in Katar. In olympischen Sportarten sicherten zahlreiche Athleten Erfolge für Katar, die zuvor keine Verbindungen mit dem Land gehabt hatten. Besonders unter Beobachtung: das katarische Handball-Nationalteam, das bei der heimischen WM 2015 mit eingebürgerten Spielern Silber gewann. Zahlreiche internationale Verbände überdachten ihre Richtlinien. Die FIFA erteilte Katar schon vor mehr als einem Jahrzehnt eine Absage für Einbürgerungen von Fußballern. 2004 stand zur Debatte, den Brasilianer Ailton nach Doha zu holen.

Gespickt mit eingebürgerten Handballern: der Vizeweltmeister von 2015, Katar 2015

Womöglich auch wegen der weltweiten Kritik, betonen Funktionäre aus Katar inzwischen, dass man die heimischen Talente stärken wolle. Doch das Nationalteam repräsentiert die katarische Gesellschaft kaum. Von den 2,5 Millionen Einwohnern haben nur etwa zehn Prozent einen katarischen Pass, bei der großen Mehrheit handelt es sich um Einwanderer aus Indien, Nepal oder Pakistan. Migranten müssen 25 Jahre in Katar gelebt haben, um sich für eine Staatsbürgerschaft bewerben zu können. Ihre Nachfahren haben es bald vielleicht einfacher – wenn sie durch Fußball auf sich aufmerksam machen. Doch auch in diesem Fall würden sie meist Dokumente mit Einschränkungen erhalten. Der Zugang zu staatlichen Förderungen bleibt limitiert.

Nur 15 Prozent der Frauen treiben Sport

Kann der Erfolg bei der Asienmeisterschaft nun dazu führen, dass der teuer geplante Spitzenfußball eine Basis in der Gesellschaft erhält? “Wenn Katar langfristig Erfolg haben will, braucht das Land eine Sportkultur”, sagt der Politikwissenschaftler Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut. Lokale Vereine, Breitensportgruppen oder ungezwungene Straßenspiele gibt es selten. Laut einer Studie des Nationalen Olympischen Komitees Katars sind nur 15 Prozent der katarischen Frauen sportlich aktiv, allerdings so gut wie nie in Teamsportarten. nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO haben mehr als dreißig Prozent der Katarer Übergewicht.

Der katarische Sender Al Jazeera hat seit Dienstag immer wieder Bilder von Zuschauern gezeigt, die in Doha die Tore ihres Teams bejubelten. Sie durften nicht nach Abu Dhabi zum Halbfinale reisen. So könnte sich ein gängiges Narrativ auch in der westlichen Welt bald ändern: Aus dem schwerreichen Katar, das die Menschenrechte nicht ernst nimmt, wird in der Wahrnehmung eventuell das Opfer neidischer Nachbarn wie Saudi-Arabien. Ob das der Beginn einer Fußballtradition ist, wird sich erst zeigen, wenn die heimische Liga im Schnitt mehr als ein paar Tausend Zuschauer anlockt.

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