Kultur

Warum “Last Christmas” genau der Weihnachtshit ist, den wir verdienen

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“Last Christmas I gave you my heart …” – jeder kennt den Song und die meisten hassen ihn. Dabei setzt der Achtziger-Hit von Wham! jedes Jahr einen Kontrapunkt in der oft nur vorgegaukelten Weihnachtsidylle.

George Michael (r.) bildete zusammen mit Andrew Ridgeley das Pop-Duo Wham!

Jedes Jahr ist es eine neue Herausforderung. Es gibt Menschen, die es sich in jedem Winter zur Aufgabe machen, bis zum Heiligabend nicht mehr als fünf Sekunden “Last Christmas” zu hören. Dazu sind (fast) alle Mittel erlaubt: Schreien, wegrennen, mit Heavy Metal kontern. “Last-Christmas-Challenge” heißt das Spiel unter Musikfans oder auch (im englischsprachigen Raum) “Whamageddon”.

Die meisten scheitern kläglich. Niemand kann mittelfristig dem Hit der Band Wham! aus dem Jahr 1984 entkommen – genauso wenig wie man Weihnachten an sich entkommen kann. Und genau deshalb ist “Last Christmas” der Weihnachtshit, den wir verdient haben.

Last Christmas I gave you my heart …

Den Evergreen kennt jeder. Der Song ist vor Weihnachten so allgegenwärtig, dass ihn jeder schon dutzende Male gehört hat. Und er ist so penetrant, dass er sich sofort als Ohrwurm einnistet. Auch so ein Grund, warum Leute versuchen, diesem Song aus dem Weg zu gehen – vor allem solche, die sich ihres angeblich so ausgefeilten Musikgeschmacks rühmen. “Last Christmas” ist der erfolgreichste Song mit dem schlechtesten Image.

Mittlerweile gehört der Hit eben einfach dazu. Deshalb beschäftigt sich auch niemand mehr damit, worum es Songwriter und Sänger George Michael damals eigentlich ging. “Last Christmas” ist ungefähr das Gegenteil von dem, was das Abziehbild von Weihnachten, das uns jeden Dezember und meist auch schon lange davor präsentiert wird, vermittelt. 

… but the very next day you gave it away

Auch in “Last Christmas” geht es um Liebe, Geschenke und besondere Menschen. Aber die Liebe bringt hier nur Enttäuschung, das Geschenk ist ein Herz, welches nur benutzt wird, und bei dem besonderen Menschen schwingt immer der Zweifel mit, ob er oder sie nicht doch genauso ist wie alle anderen.

Das sorgt bei genauerem Hinhören und Mangel an Glühwein nicht unbedingt für ein warmes Gefühl rund ums Herz. Aber so ist eben die Realität – nicht immer, aber oft. Deshalb passt dieser Song so gut in die Weihnachtszeit: Er setzt einen Gegenpol. Denn gerade rund um Weihnachten nimmt man es mit der Realität meist nicht so genau.

This year to save me from tears …

Da erstrahlen die Städte in einem Kitschmatsch aus bunten Lichtern und Weihnachtssternen. Kinder versichern dem Weihnachtsmann, dass sie auch immer schön brav waren. Die einen schenken Menschen etwas, weil sie es eben müssen, und die anderen tun so, als freuten sie sich über diese Geschenke, weil sie es eben müssen. Man spendet noch schnell ein paar Euro an Wohltätigkeitsorganisationen, um sich mit beruhigtem Gewissen noch ein bisschen behaglicher zu fühlen. Und selbst die Kirche hat aus einem Fest, das an eine Geburt unter widrigsten Umständen erinnert, eine Wohlfühlveranstaltung gemacht. Mit der Wirklichkeit soll man uns vor Weihnachten bitte nicht behelligen.

Es ist beinahe etwas ironisch, dass der Soundtrack zu alledem eigentlich ein musikalischer Kontrapunkt ist. Keine vorgegaukelte Idylle von “Stille Nacht”, kein nettes Jazz-Weihnachtsalbum von Michael Bublé. Wham! haben vor 34 Jahren einen Weihnachtshit geschaffen, der von Schmerz und Enttäuschung handelt. Ein gnadenloser Inhalt in harmlosem Gewand. So wie Weihnachten oft eben nicht nur das Fest der Liebe und Gemütlichkeit ist, sondern häufig in Streit und Stress ausartet, auch wenn das niemand so gerne sagt. Ein Song, in den man irgendwie hineingezwungen wird, für ein Fest, das irgendwie dazugehört.

… I’ll give it to someone special

George Michael hat in seinem Songtext eine ganze Reihe von Worten verwendet, denen wir mit dem, was wir gerne Weihnachtsstimmung nennen,  eigentlich unbedingt entfliehen wollen: Tränen, Dummheit, Müdigkeit, Seelen aus Eis. Weihnachten kann eine schöne Auszeit von all dem sein. Nur zu oft aber macht die Wirklichkeit aber auch im Dezember keine Pause, so wünschenswert das wäre.

“Last Christmas” erinnert uns daran, dass die Welt selbst an Weihnachten nicht heil ist – wenn wir mal genau hinhören. Und ja, “Last Christmas” kann manchmal nerven. So wie Weihnachten eben auch.

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