Deutschland

Seenotrettung: Politischer Streit um die “Sea-Watch 3”

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Die deutsche Kapitänin der “Sea-Watch 3” ist in Italien in Hausarrest. Der Streit um das Engagement zur Rettung von Menschen aus dem Mittelmeer verschärft sich – mit Schuldzuweisungen, Vorwürfen und Forderungen.

“Schuld an der Situation”, sagt der Sprecher der Organisation Sea-Watch Ruben Neugebauer, sei Italiens Innenminister Matteo Salvini. Die Verantwortung liege aber “in genau gleichem Maße” auch bei der deutschen Bundesregierung. Sie habe es, “über zwei Wochen nicht hinbekommen, 50 Menschen über den Kontinent zu verteilen”.

Tag vier seit dem Einlaufen der “Sea-Watch 3” mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa: Auf politischer Ebene gehen die Schuldzuweisungen und die Kritik zwischen Rom und Berlin hin und her. Die deutsche Kapitänin Carola Rackete ist in Hausarrest – mittlerweile auf Sizilien.

Kapitänin Carola Rackete ist eine Symbolfigur im politischen Streit

Auf großer Bühne

In Berlin treten drei Mitstreiter von Rackete vor die Journalisten: ein kleiner Tisch auf einer großen Kino-Bühne, gut ein Dutzend TV-Kameras, nicht nur aus Deutschland. Die Seenotretter verteidigen ihre Kapitänin, die längst zu einer Symbolfigur geworden ist – in Deutschland und in Italien.

Die 31-Jährige verkörpert mit ihrem Handeln und mit ihrer entschlossenen ruhigen Art die Kritik am Wegschauen der europäischen Staaten angesichts der Krise im Mittelmeer. Schon bald nach ihrer Verhaftung begannen in deutschen Städten Solidaritätsaktionen vor der italienischen Botschaft und Konsulaten. In Berlin wird für Samstag zu einer größeren Demonstration aufgerufen.

Mahnwache vor dem italienischen Generalkonsulat in Köln

“Wir brauchen eine politische Lösung”, betont Marie Naass von Sea-Watch: “Solidaritätsbekundungen bringen nichts.” Es müssten Konsequenzen gezogen werden, “damit sich das nicht wiederholt”. Und sie betont, Rackete habe vom “Nothafenrecht” Gebrauch gemacht, weil sie keinen “sicheren Hafen” gefunden und die europäische Staatengemeinschaft keine Lösung angeboten habe.” Italien wäre verpflichtet gewesen”, sagt Naass, habe aber nicht reagiert.

Das Nothafenrecht

Schon mehrfach, zuletzt 2017, hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der die Abgeordneten mit fachlicher Expertise unterstützen soll, mit dem Spezialfall des Seerechts befasst. Die Rechtsexperten ließen es mit Blick auf frühere Sea-Watch-Einsätze offen, ob diese als “Nothafenrecht” zu bewerten seien und verwiesen darauf, dass die italienische Küstenwache eine solche Situation feststellen müsse.

Andererseits: Anders als vor Jahren, so erläutern Sea-Watch-Aktive, mieden Handelsschiffe jetzt die Passage durch jene Gewässer zwischen Libyen und Lampedusa, in denen Flüchtlinge in seeuntüchtigen Schiffen unterwegs sind oder von Schleppern ausgesetzt wurden. Handelsschiffe wären zur Hilfe verpflichtet. “Immer wieder”, sagt Neugebauer, seien Handelsschiffe zu beobachten, “die bewusst wegfahren”. Gerettet werde nur, falls Aufklärungsflugzeuge der Nichtregierungsorganisationen auf die Not von Flüchtlingsschiffen aufmerksam machten und ihnen mit einem Video-Beweis ihrer Untätigkeit drohten. Das Vorgehen der Italiener gegen Rackete sei ein “fatales Signal”. Handelsschiffe überlegten sich zweimal, “ob sie retten”.

An Land: Passagiere der “Sea-Watch 3” auf Lampedusa

So hat das entschiedene Vorgehen der italienischen Behörden gegen Carola Rackete aus Sicht der Helfer auch etwas Positives bewirkt. Neugebauer sagt, zum ersten Mal seit langem gebe es wieder Aufmerksamkeit – auch der Medien – für die Lage im Mittelmeer vor Libyien: “Die Katastrophe im Mittelmeer setzt sich fort.”

UNHCR: Jeder 45. stirbt

Dazu passen jüngste Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Vor vier Jahren, 2015, sei jeder 269. Flüchtling oder Migrant gestorben, “ein Jahr später schon jeder 71., und in diesem Jahr ist es sogar jeder 45.”, sagte der UNHCR-Repräsentant in Deutschland, Dominik Bartsch, der “Rheinischen Post”. Bartsch sprach sich für mehr Seenotretter aus und forderte Italien auf, sich an seine “humanistische Tradition” zu erinnern.

Gegenspieler: Italiens Innenminister Matteo Salvini…

Aber auch für die Helfer von Sea-Watch ist es ein europäisches Drama und nicht nur eine italienische Tragödie, was derzeit passiert. Vor einem Jahr habe Matteo Salvini die Hafen Italiens geschlossen, sagt Neugebauer: “Bundesregierung und Europäische Union haben sich rausgehalten. Sie reden sich raus mit einer europäischen Lösung.” Wieder verweist sie darauf, dass mehr als 60 Kommunen in Deutschland sich zur Aufnahme der Sea-Watch-Passagiere bereit erklärt haben.

Chris Grodotzki von Sea Watch bekräftigt, man könne nicht auf eine politische Lösung warten. Die Situation in libyschen Lagern, die Lage auf dem Mittelmeer verschlechtere sich weiter. Der Notstand, auf den Rackete sich berufe, “war berechtigt”. Die Kapitänin sei mit dieser Not 16 Tage allein gelassen worden. Und die Sorge der Besatzung sei angesichts der schlechten Stimmung an Bord gewachsen, dass Flüchtlinge aus Verzweiflung vom Schiff ins Meer springen. Einer sei bei Tage gesprungen und gerettet worden. Danach stellte die Besatzung nachts eigens Wachen auf, um Schlimmeres zu verhindern.

…und der deutsche Außenminister Heiko Maas

Signal zur Aufnahme

Die Pressekonferenz der drei Helfer ist beendet. Da kommt eine halbe Stunde später vom Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” die Meldung, dass eine europäische Regelung für die Flüchtlinge der Sea-Watch kurz bevor stehe. Deutschland wolle gut ein Drittel der Flüchtlinge aufnehmen, auch Frankreich, Finnland, Portugal und Luxemburg signalisierten Bereitschaft. EU-Diplomaten seien zuversichtlich, dass es noch an diesem Dienstag eine Lösung geben werde.

Aber der politische Streit geht weiter: in Berlin, zwischen Berlin und Rom. Und innerhalb der selbst schlingernden EU. Aus der Berliner Koalition kommt unter anderem Kritik von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble an den Sea-Watch-Rettern – und ungewöhnlich deutlich auf diplomatischem Parkett Kritik von Außenminister Heiko Maas und anderen SPD-Politikern am italienischen Innenminister. Das nächste Schiff wird kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

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