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Bio-Produkte auf dem Vormarsch? Wir erklären die Hintergründe

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Öko ohne Ende: Die Bio-Branche wächst und wächst. Aber wohin soll die Reise gehen? Von der Naturkostinsel zum Discounter? Wir haben auf der weltgrößten Öko-Messe in Nürnberg nach Antworten gesucht.

Nürnberg - Xaver Dopfer steht hinter seinem Messestand und lächelt zufrieden unter seinem spektakulären Schnauzer. Die Enden hat er so akkurat zum Kreis gewichst, dass man meinen könnte, er hätte sie mit seinem eigenen Öl eingerieben. Denn der 55-jährige Bio-Bauer presst in Kempten Bio-Öle.

Jahrelang hat der gelernte Maschinenbauingenieur Software-Probleme bei großen bayerischen Unternehmen gelöst. Am Wochenende kümmerte er sich im Nebenerwerb um seinen Grünland-Betrieb im Allgäu. „Das ist so dahingedümpelt“, sagt er heute. Bis er sich entschloss, alle Energie in seine Ölmühle zu stecken. Er verkaufte seine kalt gepressten Raps-, Lein- und Hanföle zuerst im Bio-Fachhandel. Heute stehen seine Flaschen in Rewe-Supermärkten von Oberstdorf bis Ulm und im gesamten Großraum München. „Es ist wichtig, dort präsent zu sein, wo viele Leute sind“, sagt er und sein Bart tanzt dabei auf der Oberlippe.

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Von Bio-Seife aus Aleppo bis Bio-Landleberwurst aus Chiemgau

Xaver Dopfer ist einer von 3273 Ausstellern, die sich derzeit auf der Biofach in Nürnberg präsentieren. Es ist die weltweit größte Messe für ökologische Konsumgüter und für die Veranstalter ein „Spiegel der Branche“. Wenn man in diesen Spiegel schaut und sich zwischen den Ständen tummelt, die von der Bio-Seife aus Aleppo bis zur Bio-Landleberwurst aus dem Chiemgau ein unvorstellbar breites Sortiment anbieten, dann sieht man fast nur freudige Gesichter. Denn die Öko-Branche boomt seit Jahren.

Die jüngsten Wegmarken: Zuletzt wurde bei der weltweiten Bio-Anbaufläche das größte Wachstum aller Zeiten verzeichnet. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr Öko-Lebensmittel im Wert von 10,91 Milliarden Euro verkauft. Die Deutschen sind nach den USA der zweitgrößte Bio-Abnehmer des Planeten. Bundesweit ist 2018 eine Fläche von rund 150.000 Fußballfeldern neu auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt worden.

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Marktanteil von Bio-Produkten bei Lebensmitteln zwischen fünf und sechs Prozent

Fakt ist aber auch: Der Markt der konventionellen Lebensmittel wächst ebenso rasant. Und so liegt der Marktanteil von Bio-Produkten in der Lebensmittelbranche weiter zwischen fünf und sechs Prozent. „Wir sind raus aus der Nische, aber wir sind noch kein Massenmarkt“, urteilt Felix Prinz zu Löwenstein, der als Vorsitzender des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft so etwas wie das Sprachrohr der Branche ist. Bio ist also in aller Munde, aber noch längst nicht auf allen Tellern.

Dabei schlägt sich der Öko-Boom nicht nur im Lebensmittelregal nieder, auch die Naturkosmetik ist immer gefragter. Einer, der im Kleinen auf der Erfolgswelle reitet, ist der Münchner Bastian Beyer. Mit seinem gepflegten Vollbart braucht er sich vor Dopfers Schnauzer nicht zu verstecken. Kein Wunder, schließlich dreht sich bei ihm alles um die männliche Haarpracht südlich der Ohrläppchen. Beyer verkauft handgemachtes Bio-Jojoba-Bartöl, an dem die Messe-Besucher interessiert schnuppern.

Die Idee zum Bart-Business hatte einen ganz praktischen Ursprung: „Ich habe sehr empfindliche Haut und habe dann selbst mit verschiedenen Zutaten experimentiert.“ Herausgekommen ist ein Luxusprodukt (30 Milliliter für 24,95 Euro), das immer mehr Barbiere nutzen. Das ist neben seinem Online-Shop auch der Hauptvertriebsweg für Beyer. „Ich glaube, der Weg über die Drogerie-Ketten würde für mich wenig Sinn machen. Dafür ist mein Öl zu hochpreisig.“

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Produkte mit Verbands-Siegel werden bei Lidl angeboten

Für die Bio-Branche ist der Vertriebsweg derzeit die Gretchenfrage: Wie sollen die Bio-Produkte an den Mann gebracht werden? Befeuert wurde die Debatte von der Entscheidung des Bioland-Verbands, Produkte mit dem Verbands-Siegel bei Lidl anzubieten. Es ist die erste große Allianz eines Bio-Verbands, dessen Kriterien deutlich über den EU-Bio-Standard hinausgehen, mit einem Discounter.

Bioland-Chef Jan Plagge sieht die Kooperation als Chance, den ökologischen Gedanken weiter in die Breite zu tragen. Doch nicht wenige Bio-Bauern haben Sorge, in die Preiskampf-Spirale zu geraten, der sie durch die Umstellung eigentlich entkommen wollten. Und auch die Fachmärkte fürchten einerseits Einbußen und andererseits ein falsches Signal: Nämlich dass Bio billig möglich sei.

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Bei Kaufland werden Demeter-Produkte verkauft

Auch bei Demeter, Deutschlands ältestem Öko-Verband, wird die Öffnung für den Lebensmitteleinzelhandel lebhaft diskutiert. Mittlerweile gibt es Demeter-Produkte bei Kaufland, also bei der Schwarz-Gruppe, zu der auch Lidl gehört. Ist der Schritt zum Discounter damit nicht mehr fern? „Das halte ich mittelfristig für ausgeschlossen“, sagt Demeter-Vorstand Alexander Gerber.

Der Verband hat sich Vertriebsgrundsätze gegeben, die die Händler einhalten müssen. Zum Beispiel einen Mindest-Umsatz mit Bio-Produkten oder Schulungen für das Verkaufspersonal. „Wer in die Breite gehen will, muss sein Profil schärfen“, sagt Gerber. Der Bio-Markt werde sich weiter ausdifferenzieren. Dabei will sich Demeter den Nimbus der strengsten Anbau- und Haltungskriterien nicht nehmen lassen.

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Öko-Mehl bis zu 70 Prozent teurer

In der Breite ist Josef Scheller mit dem Mehl seiner Mühle in Pfaffenhofen an der Ilm längst angekommen. Er stellt sowohl konventionelles als auch Bio-Mehl aus dem Getreide von rund 250 Landwirten aus der Region her und verkauft es unter anderem bei Edeka. Dabei wächst der Bio-Anteil immer deutlicher, obwohl das Öko-Mehl bis zu 70 Prozent teurer ist. Statt auf ein verpflichtendes Verbands-Label setzt Scheller auf das Bayerische Bio-Siegel. Das orientiert sich an den strengeren Verbands-Kriterien, zusätzlich müssen aber alle Rohstoffe und Produktionsschritte in Bayern erfolgen. „Damit hat man nicht nur gute Bio-Qualität, sondern weiß auch sicher, wo es herkommt“, sagt Scheller.

Einen Stand neben dem der Scheller-Mühle schüttelt Xaver Dopfer schon wieder fleißig die Hände potenzieller Kunden und Handelspartner. Für neue Vertriebswege ist er immer offen. Unter einer Maßgabe – und die hört man auf der Biofach immer wieder: „Verarbeiter und Erzeuger müssen fair behandelt werden.“ Wenn das der Fall ist, tanzt auch der Schnauzer.

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dg

Fünf Fragen an Bioland-Chef Jan Plagge

Als der Bioland-Verband im Herbst eine Kooperation mit dem Discounter Lidl ankündigte, war die Aufregung groß. Mittlerweile steht zum Beispiel Milch mit Bioland-Siegel für 1,05 Euro pro Liter in den Regalen. Verbandschef Jan Plagge erklärt, warum er von der Nische zur Masse will.

Herr Plagge, Discounter und „Qualitäts-Bio“, wie passt das zusammen?

Plagge: Dieser Weg ist einfach nur konsequent. Bio ist zwar in der Breite der Gesellschaft angekommen, aber heimisches Qualitäts-Bio ist immer noch für viele Kunden nicht sichtbar. Wenn die Entwicklung in Deutschland und Europa in Richtung 20 oder 30 Prozent Biolandbau geht, ist für uns wichtig, dass das nicht nur anonym auf Basis des EU-Bio-Standards stattfindet. Wir wollen, dass unsere heimischen Landwirte mit ihrer höheren Bioland-Qualität diese Entwicklung aktiv mitgestalten.

Einige Ihrer Landwirte fürchten, künftig dem Preiskampf der Discounter zum Opfer zu fallen.

Plagge: 

Die Kritik ist nachvollziehbar. Mit den Einkaufsmethoden im Lebensmittelhandel sind viele Landwirte so unter Druck gesetzt worden, dass sie eine ganzheitliche ökologische und regionale Qualität gar nicht mehr anbieten können. Deswegen haben wir zwei Jahre lang mit Lidl verhandelt, wie wir unsere Landwirte schützen können.

Nämlich wie?

Plagge: 

Wir haben Fairplay-Regeln ausgehandelt, über deren Einhaltung eine Ombudsstelle wachen wird. Da geht es etwa darum, dass unsere Landwirte nicht mit unfairen Handelspraktiken unter Druck gesetzt werden. Außerdem muss bei der Bewerbung der Bioland-Ware immer der Mehrwert der Waren im Vordergrund stehen und nicht der Preis.

Bioland-Milch wurde schon vor der Kooperation ohne Siegel an Discounter verkauft. Ist der Markt so gesättigt, dass Wachstum nur über diese Schiene möglich ist?

Plagge: 

Nein, es ist genau umgekehrt. Die Nachfrage der Kunden hat dazu geführt, dass die großen Discounter immer mehr Bio verkaufen. Viele Verbraucher wollen die Bio-Produkte eben dort kaufen, wo sie sowieso hingehen. Nicht jeder geht dafür extra in den Fachmarkt. Darauf haben wir reagiert.

Bio für die Massen – ist das ein realistisches Ziel?

Plagge:

Selbstverständlich, es ist sogar notwendig. Wir machen Bio ja nicht zum Selbstzweck, sondern um die Artenvielfalt und unsere Böden zu retten sowie unsere Tiere und das Klima zu schützen. Bio ist keine Nische, sondern ein Auftrag. Und das macht langfristig nur in der Breite Sinn.

Interview: Dominik Göttler

Das EU-Bio-Siegel

Mindestvoraussetzung für alle Bio-Produkte in Europa, geregelt in der EG-Öko-Verordnung. Die wichtigsten Grundsätze: Produkte dürfen zu maximal fünf Prozent nicht ökologische Zutaten enthalten. Keine Gentechnik, keine synthetischen Pflanzenschutzmittel, keine leicht löslichen Mineraldünger. Die Betriebe werden jährlich kontrolliert, der Landwirt muss Buch führen, dass er alle Kriterien einhält. Der Betrieb muss aber nicht komplett umgestellt sein. Kann durch das sechseckige deutsche Bio-Siegel ergänzt werden, die Kriterien sind dieselben.

Bayerisches Bio

Darf verwendet werden, wenn alle Produktrohstoffe aus Bayern stammen und alle Produktionsschritte in Bayern erfolgen. Die Kriterien orientieren sich an denen der in Bayern tätigen Bioverbände und sind damit strenger als beim EU-Bio. Das Siegel wird vom bayerischen Landwirtschaftsministerium vergeben. Knapp 1100 bayerische Bio-Landwirte sind eingebunden, rund 150 Unternehmen nutzen das Siegel. Die Teilnehmer müssen schriftlich dokumentieren, dass sie die Kriterien einhalten und können stichprobenartig kontrolliert werden.

Bioland

Der größte Öko-Verband Deutschlands mit mehr als 7700 Landwirten, Gärtnern, Imkern und Winzern. Das Ziel: ein organisch-biologischer Landbau, der auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Viele Kriterien sind strenger als beim EU-Bio-Siegel. So muss etwa der gesamte Betrieb auf Bio umgestellt sein. 100 Prozent Bio-Futter ist Pflicht, mindestens 50 Prozent vom eigenen Hof. Tiere müssen mehr Platz haben. Auch die Tiertransporte dürfen nicht so lange dauern. Bestimmte Düngemittel, die bei EU-Bio zugelassen sind, verbietet Bioland.

Naturland

Rund 3700 Erzeuger in Deutschland, 65.000 weltweit. Ebenfalls strengere Richtlinien als EU-Bio. Verpflichtet seine Mitglieder – die übrigens wie auch bei den anderen großen Bio-Verbänden einen Mitgliedsbeitrag zahlen – zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, die Prinzipien wie Ökologie, Zukunft und Fairness definiert. Auch hier gilt: Mehr Platz für Tiere, gesamter Betrieb muss umgestellt sein, bestimmte Düngestoffe sind tabu. Deckt auch Bereiche ab wie die ökologische Waldnutzung, Textil- und Kosmetika-Herstellung sowie soziale Aspekte.

Biokreis

Der in Passau ansässige Verband setzt den Fokus auf regionale Zusammenarbeit von Erzeugern, Verarbeitern, Vermarktern und Verbrauchern. Wie bei den anderen Verbänden gilt: Gesamter Betrieb muss umgestellt sein, mehr Platz für die Tiere, kürzere Transportwege. Stellt wie Bioland, Naturland und Demeter die Kreislaufwirtschaft in den Vordergrund, bei der ein Bauer möglichst das gesamte Futter für seine Tiere selbst anbauen sollte. Im Gegensatz zu Naturland ist der Einsatz von Nitritpökelsalz, das Wurstwaren eine ansprechende Farbe gibt, verboten.

Demeter

Gilt als der Verband mit den strengsten Kriterien. Die 1600 Mitglieder setzen auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise nach der spirituell-esoterischen Weltanschauung Rudolf Steiners, Begründer der Waldorfpädagogik. Nur 13 Lebensmittelzusatzstoffe sind erlaubt (EU-Bio: über 300), Rinder dürfen nicht enthornt, natürliche Aromen nicht zugesetzt werden. Selbst hergestellte Präparate aus Mist, Heilpflanzen und Mineralien sollen langfristige Bodenfruchtbarkeit garantieren. Eigene Sorten- und Züchtungsarbeit, Gesamtbetriebsumstellung.

dg

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